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49 Meilen oder 4.900 Kalorien

4 Sept

Nach dem Frühstück lassen wir das Auto aus der Garage holen (Tom wollte schon immer diesen Satz zu einem uniformierten Menschen sagen: „Sir, I need my car, please. – Now.“ Er versucht, dabei ein bisschen so zu gucken wie James Bond.) und fahren zum Golden Gate Park. Wir drehen eine Runde durch den östlichen Teil der über 4.000 Quadratkilometer (!) großen Grünanlage, was aber bei bewölkten 15° C nicht besonders viel Spaß macht. Tom möchte weiter zum ehemaligen Militärstützpunkt Presidio am Golden Gate. Die Strecke dort hin liegt zum Teil auf dem 49 Mile Scenic Drive, der quer durch die Stadt zu zahlreichen Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkten führt. Würden wir den weiß-blauen Schildern mit der Möwe konsequent folgen, wären wir einen halben Tag lang unterwegs. Eine schöne Idee, aber wir machen uns lieber unsere eigene Route.

Am einsamen Fort Point rettete „Scottie“ James Stewart 1958 elegant seine „Madeleine“ Kim Novak aus den Fluten. Heute tobt die Brandung wild um den südlichen Pfeiler der Golden Gate Bridge, rechts der Uferstraße parken die Autos dicht an dicht. Jogger, Surfer und Spaziergänger nehmen dem Ort etwas von seiner Dramatik, doch ganz oben auf der Festung, wo die Brückenkonstruktion zum Greifen nah ist, ist noch genug davon übrig. Tom hält begeistert seine Nase in den Wind und posiert heldenhaft für die Kamera.

Schließlich überqueren wir das Goldene Tor und werden am anderen Ufer von Sonnenschein empfangen. Hey there, lange nicht gesehen! Der Highway 101 führt uns nach Nordosten ins Sonoma Valley und als erstes auf das Weingut der Familie Cline. Ich schäle mich aus meinem langärmligen San-Francisco-Outfit und zücke die Tube mit der Sonnencreme. Auf diesem wunderbaren Fleckchen Erde wäre ich auch gern eine Weintraube. Oder vielleicht doch lieber gleich ein Rebstock. Wir probieren Syrah, wandeln über das idyllische Gut und werfen einen Blick in das Missions Museum. Hartnäckiges Hungergefühl trübt ein wenig die Rosamunde-Pilcher-Romantik. Wir fahren weiter in den Ortskern. Tom steht eigentlich (angeblich) gar nicht so besonders auf Süßes, aber im Ben & Jerry’s Scoop Shop beginnt er eine verhängnisvolle Affäre mit einem Frozen Yoghurt Half Baked & Whipped Cream. Es ist einer dieser Läden, in dem wir als deutsche Touristen mit der Breite des Angebots völlig überfordert sind, aber die Anstrengung hat sich gelohnt. Diese Schoko-Sahne-Joghurt-Keksteig-Komposition ist der absolute Hammer. Wieder so ein Moment, in dem mir bewusst wird: mein amerikanisches Ich wäre zweifellos eine schwabbelige Fettbacke.

In der Cheese Factory stillen wir anschließend unseren Heißhunger auf Herzhaftes. Übrig bleibt nur der Wunsch, auf der Wiese im Schatten der Bäume ein kleines Schläfchen zu halten. Wir durchsuchen den Hyundai ratlos nach unseren Strandlaken, bis mir einfällt, wo wir die vergessen haben. Toms Badehose und mein Bikini sind auch in der Wüste geblieben. Mittlerweile sollten sie auf jeden Fall getrocknet sein. Schade um das Schläfchen.

Auf dem Rückweg machen wir einen Schlenker über Berkeley und besichtigen den Unicampus. Zurück in der Stadt steuern wir die berühmte Lombard Street an. Der Stau beginnt schon viele Blocks vorher, so dass wir in der Leavenworth Street parken und die Touristenattraktion wie so viele andere vom östlichen Fuße aus bewundern. Im Schneckentempo zuckeln die Autos die Zickzack-Straße hinab und werden zum Motiv zahlloser Erinnerungsfotos.

Wir beschließen den Abend in North Beach, dem Little Italy San Franciscos, im Restaurant Rose Pistola auf der Columbus Avenue. Trotz der hohen Dichte italienischer Restaurants sind alle gut besucht bis überfüllt, doch hier haben wir Glück und bekommen zwei Plätze an einem Tisch direkt vor der Live Band. Mit unserem Hauptgang ist deren Auftritt zum Glück beendet und ein flüssiges Gespräch wieder möglich. Apropos flüssig – einem für heute letzten Espresso mit Vanilleeis kann ich trotz des (ja auch schon einige Stunden zurückliegenden) Ben & Jerry’s-Intermezzos nicht widerstehen. Außerdem war das ja mein amerikanisches Ich, und hier sind wir quasi in Italien.